Samstag, 29. Mai 2010

Sehen

Sehen

Ich glaube, wir sollten anfangen uns mehr zu sehen.
Wir haben es verlernt, es ist in unserer Gesellschaft nicht mehr vertretbar den anderen zu sehen.
Auf meinem Weg nach Hause, saß in der U-Bahn eine Frau neben mir, die bitterlich weinte. Keiner hat etwas gemacht. Warum auch? Es ging sie alle ja nichts an.
Ein nachvollziehbarer Gedanke. „Es ist ja nicht mein Problem“; „Vielleicht will sie ja gar keine Hilfe“ werden einige bestimmt gedacht haben.
Andere werden sich aus der Neugierde gefragt haben, was ihr wohl zugestoßen ist, dass sie so weint und wieder andere, werden gedacht haben sie hat vielleicht zu viel getrunken und dadurch ist sie emotionaler oder reagiert über.

Sie saß also neben mir und auch mir schwirrten einige Gedanken im Kopf herum. Eine kleine Weile habe ich überlegt was ich machen soll bzw. ob ich überhaupt etwas machen soll.

Ich habe sie gefragt, ob ich ihr irgendwie etwas gutes tun kann.
Eine Frage die sie ignorieren kann, aber andersherum auch auf die sie eingehen kann.
Als ich sie das zweite mal fragte, da das erste in ihrem schluchzen unterging, schaute sie mich an, nahm meine Hand und hielt sie fest.
Ja. Das war es. Sie weinte weiter, hielt meine Hand und ab und an schaute sie mich an und lächelte zaghaft, aber dankbar.
Zwei Stationen später bedankte sie sich und stieg aus.

Ich wünsche mir, dass ich durch mein Fragen und meine Hand ihr zeigen konnte, dass sie nicht unsichtbar ist. Und ich hoffe von ganzem Herzen, dass sie jemanden hat und jetzt nicht alleine ist, -wenn es das ist was sie braucht-.
Ich wünsche mir, das mehr Menschen in Berlin den Mut haben einen Fremden zu sehen.
Nein sagen (des Fremden) auf eine Frage nach dem Befinden oder nach Hilfe ist eine Möglichkeit.
Aber eine Hand zu halten kostet mich nichts und ich konnte es geben. Zuzuhören auf einer U-Bahnfahrt kostet mich nicht. Und auch ein lächeln kostet nichts.
Ist es nicht schön, dass es mit die kostbarsten Dinge immer noch umsonst gibt? Und immer geben wird?

Ich bin der Meinung, dass wir durch das sehen des Fremden wieder lernen aufeinander zu schauen und acht zu geben. Das Leben des anderen geht mich nichts an und ich möchte keine Verantwortung übernehmen, aber einfach nur da zu sein, das kann jeder. Für einen Moment.
Ich glaube auch, dass viele Unfreundlichkeiten in unserem Leben oder auch Grausamkeiten durch 'den anderen sehen' vermieden werden kann.

Ich werde wahrscheinlich nie erfahren, was mit ihr ist, aber ich hoffe dennoch, dass es ihr gutgeht.

Cut!!!