Samstag, 17. Oktober 2015

Namenslos

Du lachst, als ich mich setzen möchte. Hast dir bevor du dich endlich gesetzt hast doch gedacht, dass noch jemand kommt, der den Mittelplatz hat.

Ja ich!

„Wohin fliegst du?“ lautet die Frage. „Über Brüssel nach Malaga und du?“, ich fliege über Brüssel nach Casablanca.

Oh wie schön, denke ich, aber irgendetwas lässt mich fühlen, dass es kein schöner Anlass ist.

Wir schweigen ein wenig.

„Mein Vater ist gestorben. Also kein Urlaub.“
Sie wirkt gefasst. Und ich höre in mich rein, was ich sagen soll. Ist die Sterblichkeit der Eltern ein durchaus schwieriges Thema.
„5 Jahre war ich nicht dort. Am Mittwoch kam der Anruf und ich habe gleich gebucht, seine Beerdigung war heute, aber ich möchte zumindest da sein.“

Ja, ertönt es in meinem Kopf. Da sein. Jetzt wo es vorbei ist.
Mein innerlicher Richter ruft: Jaaa…jetzt wo es zu spät ist! So ist es doch immer im Leben. Sie hätte ja mal früher hinfahren können. Sophie, erinnerst du dich an deine „zu-spät“ Momente? Denk mal an deine Oma, die verstorben ist, als du in Australien warst und du hast es vorher auch nicht geschafft….

Ich sage ihm er soll den Mund halten, damit ich ihr die richtigen Fragen stellen kann, ohne ihr auf den Schlips zu treten. Und meine eigene Verletzlichkeit mit diesem Thema auf sie zu projizieren.

Noch immer ist sie namenslos. Und ich ebenfalls.

„Das zu hören tut mir leid!“ sage ich und meine ich. „Ja, danke. Geht schon. Es war abzusehen. Er war 82 Jahre alt und auch ab und an im Krankenhaus. Aber sie haben gesagt es ist alles in Ordnung, als sie ihn entlassen haben. Und dann kam der Anruf.“

Wir schweigen den weiteren Flug. Ich döse weg, sie liest.
 
Kurz vor der Landung kommen wir erneut ins Gespräch. „Kommst du aus Hamburg?“, fragt sie. „Nein, aus Berlin, aber ich fliege gerne von Hamburg. Und du?“
„Ich komme aus Kiel.“ Es folgen Erklärungen, warum sie von Hamburg weg ist und zu ihren Töchtern.
„Ach Kiel, wie schön. Kennst du den Teeladen von Angelika und Olli? Kann ich dir nur empfehlen.“
„Ja, den kenne ich. Dort geh ich gerne Tee kaufen. Ich werde an dich denken, wenn ich dort bin!“
„Ich wünsche dir viel Licht und Liebe.“ Ist meine Antwort.

 
Ich werde an dich denken und an deine Geschichte. Und all die offenen Fragen, die du mir mit auf den Weg gegeben hast. Von denen du sicherlich nichts weißt. Und das ich deine Geschichte nicht vergessen werde. Und du trotz namenslos in meinem Herzen hängen geblieben bist. Und ich vielleicht trotz namenslos ebenfalls.

 

Alles Liebe, Sophie